Ein neuer Weg zu einem alten Ziel: journalistische Professionalität

Die SAL hat auf Herbst 2020 hin ihr Journalismusangebot umgestaltet. Welche Überlegungen haben dazu geführt? Ist die Arbeit als JournalistIn auch in Zeiten von Social Media und Gratismedien noch attraktiv? Diese und weitere Fragen beantwortet SAL-Abteilungsleiter Peter Rütsche im Gespräch mit Danijela Galic.

Die SAL bietet schon seit Jahrzehnten einen umfangreichen Journalismusstudiengang an. Was war der Grund, das Konzept neu auszurichten und auf ein kürzeres, kompakteres Modell zu setzen?


Es ist kein Geheimnis, dass der Journalismus zu den Branchen gehört, die aufgrund der Digitalisierung grosse Umwälzungen erlebt hat und immer noch erlebt. Dies bleibt nicht ohne Folgen auch für die Ausbildung. Angesichts der Dynamik und Unsicherheiten in der Medienbranche steigt die Nachfrage nach kürzeren, kompakteren Angeboten – die Planung sowohl von Ausbildungs- wie von Weiterbildungsaktivitäten wird auf Kundenseite immer kurzfristiger, und darauf müssen wir als Anbieter reagieren. Marktbedingte Anpassungen haben wir im Übrigen auch schon vorher immer wieder vorgenommen.
 

In den Medien tätig zu sein galt lange Zeit als «Traumberuf». Ist das immer noch so?

Die ökonomischen Probleme, mit denen sich Verlage und Sender vor allem seit der Jahrtausendwende konfrontiert sehen – Stichworte dazu sind «Gratismentalität» oder «Abwanderung der Inserate zu den Silicon-Valley-Plattformen» –, haben zu einem Abbau von Stellen geführt, der natürlich auch in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt geblieben ist. Die Nachfrage nach journalistischen Ausbildungen ist entsprechend gesunken, nicht nur an der SAL. Zugleich sind die technologischen Ansprüche gestiegen, da ja die Publika über immer mehr (und, wie im Fall von Mobile, zum Teil sehr junge) Verbreitungskanäle erreicht werden sollen. Nicht nur für «digital natives», sondern für technologieaffine Menschen generell dürfte dies jedoch eher ein zusätzlicher Reiz sein. Zudem bietet eine Disruption, wie wir sie erlebt haben und immer noch erleben, ja auch die ausgezeichnete Chance, etwas Neues auszuprobieren. Schliesslich verfliessen durch die Digitalisierung auch die ehemals klaren Grenzen zwischen den Kanälen und Medientypen, so dass Karriereverläufe zwar weniger planbar, aber auch weniger festgefahren erscheinen als früher. All jenen, die sich nicht spezialisieren wollen, eröffnet die heutige bi- und multimediale Arbeitswelt neue Optionen als Generalist, als Allrounderin mit entsprechend vielfältigem Aufgabenprofil.

Was macht denn Ihrer Meinung nach die Attraktivität des Journalistenberufs aus?

Ich denke, dass es kaum einen anderen Beruf gibt, in dem man derart nahe am «Puls der Zeit» ist. In welchem Beruf haben Sie es jeden Tag mit dem Unvorhersehbaren zu tun? Und wo ist es sonst noch möglich, morgens zur Arbeit zu gehen, und am Abend fährt man nach Hause und hat einen völlig neuen Teil der Welt entdeckt, eine Realität, von der man nichts geahnt hat – oder an der man achtlos vorbeigegangen ist?
Natürlich ist dieses täglich Neue auch eine immense Herausforderung, die gerade BerufseinsteigerInnen an die Grenze bringen kann. Aber wie überall erlaubt eine fundierte Ausbildung, zusammen mit der notwendigen journalistischen «Konstitution», die Entwicklung von Routinen, mit deren Hilfe sich das Unvorgesehene bewältigen lässt, ohne dass es sein Faszinosum verliert.
Ein «schöner» Beruf wie Journalismus hat halt auch seinen Preis – aber vielleicht erachten einige sogar diesen Preis als zusätzlichen Reiz. Ich denke hier an die Verantwortlichkeit für das eigene Handeln – Information ist ja bekanntermassen ein machtvolles Instrument, und ihre Verbreitung sollte auf der Grundlage professioneller Reflexion erfolgen. Das ist nicht nur zu Corona-Zeiten so.
Also bemühen sich Medienschaffende Tag für Tag aufs Neue, eine optimale Balance zu finden zwischen dem Informationswert, der Verständlichkeit, der Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt auch dem Animationswert des eigenen Beitrags (schliesslich stösst ja nicht jede Information automatisch auf Interesse …). So ist jeder Beitrag ein «Einzelstück», eine Welt für sich – und was will man mehr (sofern man Herausforderungen mag)?
 

Was sind – neben der Länge der Ausbildung – die wichtigsten Änderungen?

Wir haben die Kurstage von Montag/Dienstag auf Freitag/Samstag verschoben. Dies soll den berufsbegleitenden Besuch der Kurse erleichtern. Ausserdem bieten wir die Möglichkeit an, die Ausbildung in intensiver Form innerhalb von zehn Monaten oder in einem gemächlicheren Rhythmus innerhalb von zwei Jahren zu absolvieren. Damit können Interessierte ihre Ausbildung (oder Weiterbildung) individueller planen. Ein dritter Vorteil ist schliesslich, dass die Kurstage am Wochenende das gezielte Belegen einzelner Kurse oder Module (Kursgruppen) erleichtern.
 

Die Anzahl Kurstage ist gegenüber dem bisherigen Modell verringert worden. Sind die künftigen Journalistinnen und Journalisten immer noch genügend vorbereitet auf die Ansprüche des Berufslebens?

Der handwerkliche Kern des Print- und Onlinejournalismus ist von der Konzeptänderung nicht betroffen. Wir haben aber schweren Herzens einige Fächer, die man halt auch als «nice to have» bezeichnen kann, aus dem Angebot gestrichen. Man darf dabei aber eines nicht vergessen: Journalismus war schon immer – trotz aller Professionalisierungsbemühungen – von einem ausgeprägten «Learning by doing» geprägt. Es ist deshalb nicht ein Fehlen von Kompetenzen zu befürchten, welche die berufliche Handlungsfähigkeit einschränken. Medienschaffende müssen dafür in Zukunft stärker die selbstgesteuerte Erweiterung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten im Auge behalten. Vieles von dem, was im Beruf von höchster Relevanz ist, lässt sich zudem sowieso nur schlecht via Ausbildung vermitteln.
 

Können Sie das an einigen Beispielen illustrieren?

Die Anforderung Nummer 1 auf Seiten der Redaktionen und der Ausbildungsverantwortlichkeiten ist eine gute Allgemeinbildung – und die Bereitschaft, diese konstant zu erweitern. Natürlich hilft hier ein schulischer Rucksack, aber wichtiger ist die Bereitschaft, in die Erweiterung des eigenen Horizonts zu investieren. Pflichtkurse zu bestimmten Sachgebieten oder Zulassungsprüfungen, wo das Wissen aus der Tagesaktualität der letzten drei Monate oder ein «Wer wird Millionär?»-Wissen abgefragt wird, bringen wenig, wenn dahinter nicht die richtige Einstellung steckt, verbunden mit Neugierde und kritischem Denken. Auch Letzteres ist nur begrenzt im schulischen Kontext vermittelbar.
Andere unerlässliche berufliche Dispositionen im Journalismus sind Flexibilität, Extrovertiertheit, Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit – auch hier sehe ich wenig Möglichkeiten, dies im Curriculum zu verankern. Ich sage Interessentinnen und Interessenten deshalb immer: «Sie wollen Journalistin, Journalist werden, und wir helfen Ihnen dabei, so weit wir können. Aber wir machen Sie nicht zur Journalistin, zum Journalisten – das müssen Sie schon selbst hinkriegen.» Damit sind wir immer gut gefahren, und diese Haltung wird angesichts der verdichteten Ausbildung noch wichtiger.

Sie haben soeben Corona angesprochen: Welchen Einfluss hat die Pandemie auf die Entwicklung des Journalismus?

Zum einen haben die letzten Monate gezeigt, dass ein grosser Hunger nach professionell recherchierten und präsentierten Informationen besteht. In Zeiten von Fake News und Verschwörungserzählungen auf Facebook, YouTube & Co. ist Journalismus unverzichtbarer denn je – auch wenn die Medienschaffenden manchmal am Sinn ihrer Arbeit zweifeln mögen angesichts der erstaunlichen Reichweite des Informationsmülls auf den Plattformen. Und was «echten» Journalismus eben von seiner selbsternannten Konkurrenz unterscheidet, ist die Orientierung an professionellen Standards, die eben nicht nur «Rechte», also Freiheiten, sondern auch und zuerst einmal «Pflichten» sind, wie sie zum Beispiel der schweizerische Presserat als ethische Grundlage verantwortungsvoller öffentlicher Kommunikation definiert hat.
So spürbar die Nachfrage nach journalistischer Qualität ist, so verunsichernd sind allerdings auch die Konsequenzen der Corona-Schutzmassnahmen, sowohl auf gesamtwirtschaftlicher wie auf individueller Ebene. Werbegelder als eine der zentralen Einnahmequellen von Medien schwanken ja mit der Konjunktur, was nicht folgenlos bleibt für die berufliche «Attraktivität» der Branche. Der persönliche Entscheid, in eine Aus- oder Weiterbildung zu investieren, fällt immer auch vor dem Hintergrund einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Ist es sinnvoll, während einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation einen neuen beruflichen Weg einzuschlagen? Dies lässt manche(n) Interessierte(n) schwanken – nicht nur bei uns an der SAL. Die Pandemie hat, so gesehen, einen zwiespältigen Effekt.